Aus dem Durchschnitt by Gustav Falke
Aus dem Durchschnitt by Gustav Falke
Dem undurchdringlichen Nebel des M?rzabends war eine Frostnacht gefolgt. An der Ecke der G?rtnerstra?e und des Durchschnitts, in einem ?stlichen Vororte Hamburgs, hatte am Morgen darauf die Gl?tte des übereisten, abgenutzten Stra?endammes ein Opfer gefordert. Ein Droschkenpferd war so unglücklich gestürzt, da? an eine Rettung des gutgepflegten, wertvollen Tieres nicht zu denken war. Beide Vorderbeine waren dem Dunkelbraunen gebrochen. Schwei?bedeckt, mit heftig arbeitenden Lungen, lag er in dem Kreis der schnell zusammengelaufenen Gaffer.
Der Kutscher, ein ?lterer Mann, stand in dumpfer Resignation dabei.
"Dat verdammte Jis, dat verdammte Jis", wiederholte er nur immer. Ein
Schlachter dr?ngte sich durch die Menge:
"Na, Beuthien, is he henn?"
"To'n Dübel is he", brach der verhaltene Grimm des Angeredeten los. Er warf die Peitsche mit einem Fluch auf die Erde und machte sich daran, den keuchenden Gaul von allem Geschirr zu befreien.
Der Frager und ein junger kr?ftiger Mann, dessen frisches, wettergebr?untes Gesicht unverkennbare Aehnlichkeit mit dem Kutscher aufwies, waren dem hart Betroffenen behilflich.
"Harst doch man Liesch nohmen, Vadder", meinte der junge Mann.
"Schnack morgen klok", war die verbissene Antwort.
In dem Knaul der sich noch immer vermehrenden Zuschauer hielten sich Mitleid, Neugier und Lust am Unglück die Wage. Auch fehlte es nicht an schlechten Witzen. Vergeblich bemühte sich ein Schutzmann, die Menge zu zerstreuen. Er lie? seinen Aerger dafür an den Kindern aus, aber die auf der einen Seite mit barschem Wort verjagten, schlossen sich auf der anderen beharrlich wieder an.
Hatte das Publikum nur sp?ttische Mienen, halblaute Scherze für die heilige Hermandad, so war die Besitzerin des Eckladens, eines Gesch?ftskellers, in dem sich eine Wei?- und holl?ndische Warenhandlung befand, um so energischer bemüht, den Mann der Ordnung wenigstens durch ihren Beifall aufzumuntern. Sie war um ihre Spiegelscheiben besorgt.
Die kleine, rundliche Frau war in best?ndiger Bewegung. Unter Mittelma?, kostete es ihr verzweifelte Anstrengungen, dann und wann einen Blick auf den Gegenstand der allgemeinen Neugier zu erm?glichen.
Einmal versuchte sie sogar, sich von ihrem niedrigen Standpunkt aus dennoch einen Anteil an der Aktion zu sichern.
"Na, Herr Beuthien, is er tot?" fragte sie mit heller, durchdringender
Stimme in das Gewühl hinein.
"Ne, man so'n bischen", rief ein vorlauter Junge zurück, unter dem
Gel?chter der Umstehenden.
Ein Dienstm?dchen suchte, mit unwilligem Ellbogensto? die Z?rtlichkeit eines Gesellen abwehrend, die N?he der Ge?rgerten zu gewinnen.
"Morgen, Frau Wittfoth! ich wollt' nur für'n Groschen Haarnadeln haben, von die langen, wissen Sie woll. Ich komm gleich retour, will man blo? mal eben Kartoffel holen."
"Recht, Fr?ulein, holen Sie man blo? mal eben Kartoffel", lachte die
Wittfoth.
Gewandt schlüpfte das M?dchen durch das Gedr?nge.
Allm?hlich verlor sich die Menge. Das gestürzte Tier ward bis zur
Ankunft des Frohnes durch übergeworfene Decken dem Anblick der
Vorübergehenden entzogen. Vereinzelt sich anfindende Neugierige wies der
Schutzmann sogleich weiter. Eine halbe Stunde sp?ter zeugte nichts mehr
von dem Vorfall.
Frau Caroline Wittfoth war noch beim Sortieren der Haarnadelp?ckchen besch?ftigt, ihr nerv?ser Ordnungssinn hatte immer irgend etwas zu richten, zu ver?ndern und zu verbessern, als auch schon jenes Dienstm?dchen, mit der gefüllten Kartoffelkiepe am Arm, laut und fahrig in den Laden trat.
"Nu?" fragte sie mit strahlendem Lachen. "Haben Sie mich die Nadeln rausgesucht?"
"Sie feiern wohl Geburtstag heute?" meinte die Wittfoth, die verlangten
Haarnadeln einwickelnd.
"Ich? Ne, wie meinem Sie das?"
"Na, ich meine man, weil Sie so vergnügt sind."
"Das sagen Sie man. Mal will unsereins auch lachen. Aergern thut man sich so schon genug."
"Haben Sie wieder was mit ihr gehabt?"
"Mit ihr nich. Mit ihr werd ich schon fertig. Aber die andere, die meint wunder, was sie ist, und mu? sich doch auch man selbst kratzen, wenn ihr was bei?t."
"Nu aber raus", rief Frau Caroline lachend, beleidigtes Feingefühl erheuchelnd. Die andere lie? sich jedoch gemütlich auf dem einzigen Rohrstuhl an der Tonbank nieder.
"Die? das glauben Sie gar nich", fuhr sie fort auszukramen. "N?chstens i?t sie auch nicht mehr vor Faulheit. Meinen Sie, sie stippt einen Finger in Wasser? I bewahre, k?nnt ja na? sein".
"Wie man nur so sein mag", ging Frau Caroline auf die Unterhaltung ein.
"Wenn ich die Mutter w?re".
"Die? die stellt nichts nich mit ihr auf".
"Der Herr sollte sie man mal ordentlich vornehmen". Die Wittfoth machte eine bezeichnende Handbewegung.
"Dreimal auf'n Tag und düchtig", eiferte das M?dchen. "Aber Herrjeses! ich verge? mir ja ganz. Na, das wird'n sch?nen Segen geben. Sie hat so keinen Guten heute".
Sie ri? ihre Kartoffelkiepe an sich und stürzte mit einem vertraulichen "Schüü? Frau Wittfoth" fort, mit klirrendem Schlag die Thür hinter sich schlie?end.
"Deernsvolk!" schalt die zusammenschreckende Frau hinterher.
Gustav Falke machte ab 1868 in Hamburg eine Lehre als Buchhändler. Lieber wäre ihm ein Studium der Musik und Literatur gewesen, diesen Wunsch schlug ihm sein Stiefvater jedoch aus. Ab 1903 konnte Falke sich ganz der Schriftstellerei widmen, da ihm die Stadt fortan ein Gehalt auszahlte, um seine schriftstellerischen Leistungen zu unterstützen. Falke lebte von 1853 bis 1916.
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