Ihre letzte Hoffnung ruhte auf Wilbur Thorpe, dem Verlobten, den sie über zehn Jahre hinweg geliebt hatte, dem Mann, mit dem sie ihre Kindheit geteilt hatte.
Wilbur stand in der Nähe, makellos gekleidet, sein Auftreten distanziert und kühl.
Ihre Blicke trafen sich kurz, doch seine Lippen öffneten sich nur, um mit brutalem Gleichmut zu sprechen. „Meine Wahl fällt auf Nadia. Fass sie an, und du wirst es bereuen. Was Maren betrifft – sie bedeutet mir nichts. Macht, was ihr wollt.“
Wilburs rücksichtsloses Ignorieren zerschmetterte Maren und schnitt ihr tief ins Herz. Sie erinnerte sich genau an all das, was sie geopfert hatte, um ihn am Leben zu erhalten, ihr Blut mehrfach zu geben, selbst wenn die Ärzte warnten, sie könnte es nicht überleben.
Obwohl sie seine Ablehnung erwartet hatte, zerbrachen seine kalten Worte etwas Tiefes in ihr.
Der Schmerz war überwältigend – so groß, dass sie kein Wort hervorbringen konnte.
Alles, was sie tun konnte, war zuzusehen, wie Nadia in Tränen ausbrach und sich in Wilburs Arme warf. Der Mann, der ihr gegenüber kalt und distanziert gewesen war, wischte nun sanft Nadias Tränen weg.
Ihre Brüder umgaben Nadia schützend, überhäuften sie mit Zuneigung und übersahen dabei völlig ihr Leid.
Niemand kümmerte sich um sie. Nicht einmal ein flüchtiger Blick war ihr gegönnt.
Stattdessen sah sie sich grinsenden Entführern gegenüber, deren schmutzige Körper sich mit finsterer Erwartung näherten.
„Wer hätte gedacht, dass die Familie Morgan ihre eheliche Tochter fallen lässt, nur um eine uneheliche zu schützen? Sieht so aus, als hätten wir Ratten heute Abend den Jackpot geknackt.“
„Geduld, Jungs – jeder kommt noch dran.“
Maren lehnte sich gegen die Wand, gefangen.
Ihr Hals brannte vom Schreien zuvor, der Geschmack von Blut lag noch frisch auf ihrer Zunge.
Während ihre Familie Nadias Rettung feierte, spürte Maren, wie der letzte Hoffnungsschimmer zerbrach.
Sie gab endlich auf.
Das Gesicht ihrer Mutter blitzte vor ihrem inneren Auge auf und schenkte ihr einen Schub neuer Kraft. Sie hatte genug von diesem Albtraum.
Plötzlich warf Maren den Kopf zurück und stürmte zur Wand hin.
Doch bevor sie weit kam, bemerkte der Anführer der Entführer ihre Bewegung. Er packte eine Haarsträhne und riss sie brutal zurück, unterbrach ihren Versuch.
Dann schlug eine heftige, brennende Ohrfeige auf Marens Gesicht ein.
„Denk noch mal nach, Schlampe! Wir sind mit dir noch nicht fertig.“
Der brutale Schlag warf Maren in die Bewusstlosigkeit.
Doch niemand schien sich dafür zu interessieren.
Laut lachend griffen die Entführer gierig nach ihr, ihre schmutzigen Absichten offen vor Augen.
Hände zerrten grob an ihrer Kleidung.
Gerade als sie begannen, Marens Kleidung zu zerreißen, riss sie plötzlich die Augen auf.
Jede Spur von Verletzlichkeit war sofort verschwunden und einem intensiven, kampfbereiten Blick gewichen.
Instinktiv drehte sie sich nach oben.
Mit ihren gefesselten Handgelenken legte sie dem nächsten Angreifer den Hals frei.
Sie nutzte ihre Schwungkraft, drehte sich scharf und entschlossen.
Ein widerliches Knacken durchbrach die Stille, als der Mann leblos zusammenbrach.
Den kurzen Schock ausnutzend, führte Maren einen weiten hohen Kick aus, der die übrigen Entführer zu Boden schickte.
Die unmittelbare Bedrohung war neutralisiert, doch Marens Stirn blieb tief in Falten gelegt, Verwirrung zeichnete sich in ihrem Gesicht ab.
Etwas fühlte sich grundlegend falsch an.
Wie hatte sie die Entführer mühelos besiegt? Warum wirkten ihre Bewegungen so selbstverständlich, vertraut und doch vergessen?
In diesem Moment der Unsicherheit brachen verdrängte Erinnerungen hervor und überwältigten sie.
Von ihren frühesten Tagen bis zu dem traumatischen Moment ihrer Entführung, gefolgt von ihrem Abstieg in eine dunkle Welt – ein Leben voller Blutvergießen und Chaos.
Sie erinnerte sich an alles.
Vor sechs Jahren, als eheliche Tochter der wohlhabenden Familie Morgan in Baimsa, war sie von Feinden mit alten Rechnungen entführt worden. Sie hatte vier Jahre ihrer Erinnerungen während ihrer Zeit in der Unterwelt verloren, doch jetzt kehrte alles zurück.
Den lebhaften Gerüchten zufolge war sie an ein Rotlichtviertel verkauft worden.
Doch die Wahrheit war: Nikolas Edgeworth, der mächtige Anführer der Souveränen Unterwelt, hatte sie als Pflegetochter aufgenommen.
Während dieser vier Jahre hatte Maren eine tiefgreifende Verwandlung durchgemacht. Aus dem behüteten Mädchen der Morgans war sie zu einer mächtigen Kraft der Unterwelt geworden, die schließlich als einzige Erbin der Souveränen Unterwelt anerkannt wurde.
Einst nur eines von Nikolas' vielen Pflegekindern, hatte sie im brutalen Kampf um die Vorherrschaft alle anderen Erben überlebt.
Sie war zur unangefochtenen Herrscherin der kriminellen Welt aufgestiegen.
Bei einer geheimen Operation vor zwei Jahren hatte ein Verrat aus den eigenen Reihen sie in ein Minenfeld geführt.
Wahrscheinlich hatten Einheimische sie damals lebend gefunden und den Behörden übergeben. Ein späterer DNA-Abgleich bestätigte sie als die verlorene Tochter der Familie Morgan und führte zu ihrer Rückkehr.
Tragischerweise hatten Verrat und Minenfeld ihr jene Erinnerungen geraubt.
Erst jetzt öffneten sich die Schleusen ihrer Erinnerung weit.
Tief versunken in Gedanken wurde Maren von einer wütenden Männerstimme vor ihr erschreckt.
„Maren? Du verdammte Frau, was zum Teufel treibst du da?“