Er nannte es Ehe. Ich nannte es Rache. Er brachte Frauen mit nach Hause, aber Sarah wurde zu einer festen Größe, seine Vertraute. Er führte sie vor, befahl mir, ihnen Champagner zu servieren, und bezahlte mich für „erbrachte Dienstleistungen“ – ein vulgärer Hundert-Euro-Schein für meine „Mühe“. Jede Interaktion war eine neue Demütigung, doch meine geübte Kälte, meine emotionslose Fassade, schien seine rasende Wut und Sarahs selbstgefälligen Triumph nur noch anzustacheln.
Er sah mich als Söldnerin, eine herzlose Frau, die ihn für Geld verlassen hatte. Er wusste nie, dass ich heimlich mein gesamtes Erbe in seine scheiternde Firma geschleust, anonym Knochenmark gespendet hatte, um sein Leben zu retten, als er todkrank war, oder allein durch einen Schneesturm gewandert war, um ihn aus einem verunglückten Auto zu bergen. Jede Wahrheit, jede selbstlose Tat, wurde von Sarah zu einer Lüge verdreht, perfekt als Waffe gegen mich in seinen Augen eingesetzt.
Wie konnte er so vollkommen blind sein? Wie konnten meine tiefen Opfer, meine verzweifelte, andauernde Liebe, in solch verzehrenden Hass verwandelt werden? Die quälende Ungerechtigkeit war ein ständiger Schmerz, eine Wunde, die niemals heilte. Ich ertrug seine Grausamkeit schweigend, im Glauben, es sei der einzige Weg, ihn vor einem unsichtbaren Feind zu schützen.
Aber die Qual wurde unerträglich, unhaltbar. Also riss ich mir mein eigenes Herz heraus und vollbrachte den ultimativen Akt, um ihn zu schützen: Ich täuschte meinen eigenen Tod vor. Ich löschte Maya Moreno aus der Existenz, in der Hoffnung, er könnte endlich sicher und wirklich frei sein. Aber Freiheit, so lernte ich, hat einen brutalen Preis, und der Weg, den er jetzt geht, angetrieben von seiner Trauer und ihren Lügen, ist gefährlicher als je zuvor.
Kapitel 1
Maya Moreno wusste, dass dies nicht ihr Leben war.
Dieses opulente Frankfurter Penthouse, ein goldener Käfig, war Leonhard Richters Denkmal für seinen Erfolg und ihr Gefängnis.
Ihr wahres Leben, ihre Mission, Gerechtigkeit für ihre Mutter Elena zu finden, war eine glühende Kohle, die sie tief in sich verbarg und auf die Chance wartete, zu entkommen und sie wieder zu entfachen.
Heute Abend fühlte sich diese Chance unendlich weit entfernt an.
Das Geräusch der Haustür, dann Leos Stimme, zu laut, zu fröhlich, hallte durch den großen Raum.
Er war nicht allein.
Maya blieb in der Küche, den Rücken zum Eingang, und tat so, als wäre sie damit beschäftigt, eine bereits saubere Arbeitsplatte abzuwischen.
Ihr Herz hämmerte. Es war jetzt immer Sarah Wagner bei ihm.
„Leo, du bist mein Lebensretter“, drang Sarahs widerlich süße Stimme herein. „Nach dieser katastrophalen Präsentation brauchte ich das.“
„Alles für meine beste PR-Chefin“, sagte Leo. Sein Ton war leicht, aber Maya kannte den Unterton. Jedes Wort, jede Geste in Sarahs Anwesenheit war eine Vorstellung zu Mayas Gunsten.
Eine kalkulierte Qual.
Seit zwei Jahren, seit Leo sie gefunden und aus dem ruhigen Leben zurückgeschleppt hatte, das sie nach ihrem ersten, ungeschickten Versuch zu verschwinden, aufzubauen versucht hatte, war dies ihre Realität.
Er nannte es Ehe. Sie nannte es Rache.
Er brachte Frauen hierher. Nicht oft, aber oft genug. Immer schön, immer erfolgreich, immer ein krasser Gegensatz zu der gebrochenen Frau, die er aus Maya zu machen versuchte.
Aber Sarah war anders. Sarah war eine Konstante. Sarah war seine Vertraute, sein Fels in der Brandung, diejenige, die ihn angeblich „verstand“.
Leo kam dann in die Küche, Sarah folgte ihm. Er blieb stehen, sah Maya an, dann das Glas in seiner Hand.
„Hol uns Eis, Maya“, sagte er mit flacher Stimme. Er sah sie nicht direkt an.
Dann, wie ein nachträglicher Gedanke, zog er einen Hundert-Euro-Schein aus seiner Brieftasche und warf ihn auf die Arbeitsplatte. „Für deine Mühe.“
Die beiläufige Grausamkeit, die Art, wie er sie mit einer Angestellten gleichsetzte, traf immer noch ins Schwarze.
Mayas Hand umklammerte den Schwamm fester.
„Leo, siehst du nicht, was du tust?“, flüsterte sie schließlich, ihre Stimme heiser. Sie sah Sarah an, deren Augen einen Anflug von Triumph zeigten. „Mit ihr?“
Leo lachte, ein kurzes, raues Geräusch.
„Mit ihr?“, wiederholte er, seine Augen kalt wie eine Winternacht. „Bist du eifersüchtig, Maya? Nach all dieser Zeit denkst du, du hast immer noch das Recht, eifersüchtig zu sein?“
Er trat einen Schritt näher. „Erinnerst du dich an Frankfurt, vor fünf Jahren? Erinnerst du dich an unsere Träume?“
Eine Welle von Schwindel erfasste Maya. Die Vergangenheit. Er brachte es immer wieder auf die Vergangenheit zurück. Die opulente Küche um sie herum schien zu verblassen, ersetzt durch Bilder, die so lebendig waren, dass sie ihr den Atem raubten.
Sie waren jung, leidenschaftlich, lagen auf dem Boden ihrer winzigen Wohnung in der Nähe der Universität, umgeben von Bauplänen für nachhaltige Gemeinschaften. Leos Augen leuchteten mit einem Idealismus, der ihren eigenen widerspiegelte.
„Wir werden die Welt verändern, Maya“, hatte er gesagt, sein Arm um sie gelegt. „GrünHorizont AG wird eine bessere Zukunft bauen.“
Sie hatte ihm geglaubt. Sie hatte ihn mit einer Intensität geliebt, die ihr Angst machte.
Dann war ihre Mutter, Elena, eine kämpferische Umweltaktivistin, ermordet worden. Fahrerflucht, nannte es die Polizei. Maya wusste, es war Konstantin Falk, der korrupte Bauträger, gegen den ihre Mutter gekämpft hatte. Falks Drohungen waren eskaliert, zuerst subtil, dann erschreckend direkt. Sie richteten sich jetzt gegen Maya.
Um Leo zu schützen, um ihn aus Falks Fadenkreuz zu halten, hatte sie eine unmögliche Wahl getroffen.
Sie sagte Leo, sie würde für einen hochbezahlten Job in einem Konzern in New York gehen, dass seine „Luftschlösser“ nicht genug für sie seien.
Sie erinnerte sich an sein Gesicht, die Ungläubigkeit, die Verletzung, die schnell in Wut umschlug.
„Du wirfst uns weg für Geld?“, hatte er geschrien, seine Stimme brach. „Nach allem, was wir geplant haben?“
„Es ist ein besseres Angebot, Leo“, hatte sie gesagt, während ihr eigenes Herz zerbrach. „Ich muss es annehmen.“
Sie war weggegangen, ohne zurückzublicken, das Bild seines am Boden zerstörten Gesichts in ihre Erinnerung eingebrannt.
Leos nachhaltiges Bau-Startup, GrünHorizont AG, hatte bereits zu kämpfen. Ihr Weggang, gepaart mit einem plötzlichen Wirtschaftsabschwung, brachte es an den Rand des Bankrotts. Er rief sie an, dutzende Male, seine Nachrichten wurden immer verzweifelter. Sie antwortete nie. Sie konnte nicht. Falks Leute beobachteten sie.
Was er nie wusste, war, dass sie das kleine Erbe ihrer Mutter benutzt hatte, um den „Frankfurt-Fonds“ zu gründen, einen anonymen Trust. Sie hatte jeden Cent anonym in GrünHorizont investiert. Es war ihre geheime Lebensader zu ihm, ein verzweifelter Akt, um seinen Traum zu retten, auch wenn sie sie nicht retten konnte.
Sarah, ihre ehemalige Mitbewohnerin, war da gewesen, um für Leo die Scherben aufzusammeln. Sarah, die immer einen stillen Schwarm für ihn gehabt hatte. Sarah, die später „wie durch ein Wunder“ einen „Engel-Investor“ für GrünHorizont fand und die ganze Anerkennung für Mayas anonymes Opfer einheimste.
GrünHorizont AG war durch die Decke gegangen. Leo, angetrieben von Bitterkeit und dem Wunsch, ihr das Gegenteil zu beweisen, wurde zu einem Titanen in der nachhaltigen Immobilienwelt.
Und dann hatte er sie gefunden. Er hatte seinen Reichtum und Einfluss genutzt, um sie in der kleinen, ruhigen Stadt aufzuspüren, in der sie versucht hatte, unterzutauchen und ihren nächsten Schritt gegen Falk zu planen.
Er hatte nicht nach Erklärungen gefragt. Er hatte einfach festgestellt: „Du schuldest mir etwas. Du wirst mich heiraten. Und du wirst für das bezahlen, was du getan hast.“
Dieses Penthouse, dieses Leben, war ihre Buße.
Die rohen Kanten dieser Erinnerungen schmerzten. Der Mord an ihrer Mutter. Falk. Die Drohungen. Das war der wahre Grund, warum sie gegangen war. Das war das Geheimnis, das sie so erbittert hütete. Wenn Leo es wüsste, würde Falk ihn zerstören. Und der Frankfurt-Fonds. Ihr geheimes Geschenk. Er dachte, Sarah hätte ihn gerettet. Die Ironie war ein ständiger, bitterer Geschmack in ihrem Mund. Manchmal fragte sie sich, ob es damals auch ein tieferes, körperlicheres Opfer gegeben hatte, das sie gebracht hatte, ein Schleier aus Krankenhauslichtern und Schmerz, als Leo krank war, etwas, das ihr Verstand abgeschottet hatte. Die Ärzte hatten sie vor zukünftigen Komplikationen gewarnt.
Mayas Augen, wahrscheinlich rot umrandet von ungeweinten Tränen, trafen seine.
Er sah den Schmerz, sie wusste, dass er ihn sah.
„Was ist los, Maya?“, fragte er, seine Stimme einen Bruchteil weicher, fast neugierig. „Trägst du immer noch eine Last mit dir herum? Willst du mir davon erzählen?“
Er wollte, dass sie zerbrach. Dass sie irgendein egoistisches Motiv gestand, das seinen Hass bestätigen würde. Die Gegenwart schlug mit der kalten Realität von Leos Blick zurück.
Sie konnte nicht. Sie würde nicht. Ihn zu schützen, sogar vor sich selbst, war immer noch das Wichtigste. Und ihre Mission gegen Falk war alles.
„Keine Last, Leo“, sagte sie, ihre Stimme überraschend fest. „Du hast recht. Ich war egoistisch. Das war ich schon immer.“
Sie begegnete seinem Blick und ließ ihn nur die Söldnerin sehen, die sie vorgab zu sein. Ihre Zukunft war eine Wüste, und es war besser, er glaubte, sie hätte sie selbst verbrannt.