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Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet.

Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet.

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Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet. by Gerhard Rohlfs

Chapter 1 No.1

Am 7. April 1861 verliess ich Oran und schiffte an Bord eines franz?sischen Messagerie-Dampfers in Mers el kebir ein. Es war Nachmittag, als wir beim herrlichsten Wetter aus der grossen Bucht hinausdampften. Die meisten an Bord befindlichen Passagiere wollten, wie ich, nach Marokko, doch waren auch einige, die Nemours, Gibraltar und Cadix als Reiseziel hatten.

Der gr?sseren Ersparniss wegen hatte ich einen Deckplatz genommen, da mein Geldvorrath ?usserst gering war; das Wetter war eben so sommerlich, die das Dampfboot führenden Leute so freundlich und zuvorkommend, dass man kaum an die gr?sseren Unbequemlichkeiten des Decklebens dachte.

Zudem hatte ich genug mit mir selbst zu thun, ich hatte mir fest vorgenommen, ins Innere von Marokko zu gehen, um dort im Dienste der Regierung meine medicinischen Kenntnisse zu verwerthen. Zu der Zeit sprach man in Spanien und Algerien viel von einer Reorganisation der marokkanischen Armee; es hiess, der Sultan habe nach dem Friedensschlusse mit Spanien die Absicht ausgesprochen, Reformen einzuführen; man las in den Zeitungen Aufforderungen, nach Marokko zu gehen, jeder Europ?er k?nne dort sein Wissen und sein K?nnen verwerthen. Dies Alles besch?ftigte mich, ich machte die sch?nsten Pl?ne, ich dachte um so eher in Marokko fortkommen zu k?nnen, als ich durch jahrelangen Aufenthalt in Algerien acclimatisirt war; ich glaubte um so eher mich den Verh?ltnissen des Landes anschmiegen zu k?nnen, als ich in Algerien gesucht hatte, mich der arabischen Bev?lkerung zu n?hern und mit der Sitte und Anschauungsweise dieses Volkes mich bekannt zu machen.

Um Mitternacht wurde ein kurzer Halt vor Nemours (Djemma Rassaua) gemacht, um Passagiere abzusetzen und einzunehmen, und wieder ging es weiter nach dem Westen, und als es am folgenden Morgen tagte, befanden wir uns gerade in gleicher H?he von Melilla. Ich unterlasse es, eine Beschreibung der Küstenfahrt zu geben, von der sich überdies ?usserst wenig sagen l?sst. Nackt, steil und abschreckend fallen die Felsw?nde ins Meer hinein. Freilich ist die Küste gar nicht so einf?rmig, wie sie sich in einer Entfernung von circa dreissig Seemeilen ausnimmt, welche Entfernung wir gew?hnlich hielten, auch konnte man deutlich manchmal Wald und Buschwerk unterscheiden; aber das belebende Element fehlt, kein Dorf, kein St?dtchen ist zu erblicken, h?chstens die einsame Kuppel des Grabmals irgend eines Heiligen sagt dem Vorbeifahrenden, dass auch dort an der Küste Menschen hausen.

H?tte nicht Spanien einige befestigte Punkte, Strafanstalten, an dieser Küste, sie würde vollkommen unbewohnt erscheinen. Alhucemas, Pegnon de Velez bekamen wir nach einander von ferne zu sehen, als einzige Zeichen von Menschenbauten. Denn wenn auch die Rifbewohner einige D?rfer an der Küste haben, so sind diese doch so versteckt angelegt, dass sie sich dem Auge des Vorbeifahrenden entziehen. Der Seer?uber scheut das Licht, er muss Schlupfwinkel haben, und die in unmittelbarer N?he des Mittelmeers wohnenden Rifi sind nichts Anderes als Seer?uber, und zwar der schlimmsten Art. Freilich wagen sie sich heute nicht mehr aufs offene Meer, haben dazu auch weder passende Fahrzeuge noch genügende Waffen, aber wehe dem Schiffe, das an ihrer Küste scheitert, wehe dem Boote, welches der Sturm in eine ihrer Buchten treiben sollte.

Wie ganz anders ist die gegenüberliegende spanische Küste, grüne, wein- und olivenumrankte Berge, überall St?dte, freundliche Villen und D?rfer, kleine Schiffe, die den Küstenverkehr vermittelm [vermitteln]; man kann keinen gr?sseren Gegensatz denken.

Gegen Abend desselben Tages verliessen wir die Küste, ohne sie jedoch ganz aus den Augen zu verlieren, und hielten auf Gibraltar, welches noch Nachts erreicht wurde. Bis zum folgenden Mittag ruhte der Dampfer, sodann wurde die Meerenge durchschnitten und wir waren um 3 Uhr vor Tanger. Zahlreiche Jollen waren gleich vorhanden, uns Passagiere aufzunehmen, die jetzt ausser mir fast nur noch aus Bewohnern des Landes Marokko bestanden. Eine Jolle war bald gefunden, aber man kann auch mit diesen kleinen Fahrzeugen nicht unmittelbar ans Land kommen, sondern bedarf dazu eines Menschen, der einen heraustragen muss. Bei sehr flachem Strande ist n?mlich die Brandung so stark, dass die B?te dort nicht anlegen k?nnen. Ich miethete einen kr?ftigen Neger, der mich rittlings auf seinen Schultern vom Boote aus ans Land trug.

Für einzelne Reisende sind die Douane-Schwierigkeiten nicht l?stig, zumal für mich, da mein Pass bekundete, dass ich unter englischem Schutze st?nde. Die Dragomanen der verschiedenen Consulate fragen die gelandeten Fremden nach ihrer Nationalit?t, und als ich meinen Bremer Pass in die H?nde eines vornehm aussehenden Juden legte, des Dolmetsch des englischen Generalconsulates, waren im Augenblick alle Schwierigkeiten beseitigt. Die Hansest?dte standen dazumal unter grossbritanischem Schutze, w?hrend Preussen sich durch Schweden vertreten liess.

Ein Absteigequartier war auch bald gefunden, das H?tel de France, welches von einem Levantiner Franzosen gehalten wurde, ein reizendes Haus, in ?cht maurischem Style. Von einem früheren Gouverneur der Stadt erbaut, geh?rte dasselbe jetzt der marokkanischen Regierung, der Eigenthümer der Gastwirthschaft hatte es nur miethweise.

Ausser mir war noch ein Blumenh?ndler dort, der mit dem Bruder des Sultans, Mulei el Abbes, Gesch?fte machen wollte, und auch hoffte bei den europ?ischen Consuln seine Waare absetzen zu k?nnen, dann ein Spanier, vormals Offizier der spanischen Armee: Joachim Gatell. Letzterer wollte, wie ich, in Marokko Dienste nehmen und lebte nun schon seit mehreren Monaten in Tanger. Ich weiss nicht, aus welchen Gründen er die spanische Armee verlassen hatte; als Verwandter von Prim, der sich soeben bei Tetuan noch so ausgezeichnet hatte, h?tte er in Spanien sicher eine Zukunft gehabt. Besch?ftigt mit der Uebersetzung des spanischen Artillerie- Reglements ins Arabische, wollte er dies dem Sultan pr?sentiren und dann in die marokkanische Armee eintreten. Nebenbei hatte ihm Mulei el Abbes noch gl?nzende Versprechungen gemacht.

Mein n?chster Weg war sodann zum englischen Gesandten, Sir Drummond Hay. Obwohl ich nicht reich war, vielmehr beinahe von allen Mitteln entbl?sst, obwohl ich kein einziges Empfehlungsschreiben vorzuzeigen hatte und obschon ich ihm ein vollkommen Fremder und nicht einmal ein Engl?nder war, empfing mich Sir Drummond mit liebenswürdigster Zuvorkommenheit. Aber wie zerstieben meine Tr?ume. Ich erfuhr, dass an eine Reorganisation der Zust?nde des Landes nicht gedacht würde, dass der religi?se Fanatismus eher zu- als abn?hme, dass, wenn der Sultan für seine Person auch vielleicht Reformen in einigen Dingen wünsche, der Religionshass der Eingeborenen gegen alles Christliche so gross sei, dass an Ausführung nicht gedacht werden k?nnte. Allerdings habe der Sultan eine regelm?ssige Armee gebildet, aber diese sei nur dem Namen nach regelm?ssig, und falls ich auf dem Beschluss best?nde, ins Innere des Landes gehen zu wollen, sei vor Allem erforderlich, ?usserlich den Islam anzunehmen.

Entmuthigt kehrte ich ins Hotel zurück. Aber eine Berathung mit Gatell, der Reiz des Neuen, das Lockende, v?llig unbekannte Gegenden durchziehen zu k?nnen, fremde V?lker und Sitten, ihre Sprache und Gebr?uche kennen zu lernen, ein Trieb zu Abenteuern, ein Hang, Gefahren zu trotzen: alles dies bewog mich, das Wagniss auszuführen, und nach einer zweiten Unterredung mit Sir Drummond wurde beschlossen, ich solle-(es war dies das einzige Mittel, um ins Innere des Landes Zugang zu bekommen)-?usserlich den Islam annehmen und eine Anstellung als Arzt in der Armee des Sultans nachsuchen. Unter dieser Verkleidung und mit solchen Intentionen, meinte Sir Drummond, sei ich in Fes eines guten Empfanges sicher und k?nne mich so lange im Lande aufhalten wie ich wollte. Mulei el Abbes, den ich versuchte zu besuchen, war indess nicht sichtbar für mich, jedesmal kam ich zu ungelegener Zeit.

Unterdessen machte ich mich rasch und mit Energie daran, meinen Vorsatz auszuführen, obschon alle anderen Europ?er abriethen. Ich vermied aber so viel wie m?glich mit ihnen in weitere Berührungen zu kommen, namentlich mied ich das spanische Consulat (obschon mir dasselbe sp?ter in Marokko viel Freundschaft erwiesen hat), um nicht als Spion verd?chtigt zu werden. Denn h?tten die Mohammedaner mich nach wie vor mit Christen verkehren sehen, so würden sie es gleich gemerkt haben, dass ich nur zum Schein übergetreten. So war ich nur fünf Tage in Tandja, wie der Marokkaner die Stadt nennt, und am sechsten Tage hatte ich dem Orte schon den Rücken gekehrt, in Begleitung eines Landbewohners, der es übernommen hatte, mich nach Fes bringen zu wollen.

Ich hatte meine Sachen auf das Nothdürftigste reducirt, ein Bündelchen mit W?sche war Alles, was ich bei mir hatte, nach Landessitte trug ich es an einem Stocke h?ngend auf der Schulter; eine weisse Djelaba (ein weisses langes wollenes, mit Capuze versehenes Hemd) war meine Kleidung. Gelbe Pantoffeln, dann eine spanische Mütze, worein ich mein letztes Geld-eine englische Fünf-Pfundnote-gen?ht hatte, endlich ein schwarzer weiter europ?ischer Ueberzug, der als Burnus dienen konnte: das war mein Anzug. Ich hatte keine Waffen, ein kleines Buch mit Bleistift, um Notizen machen zu k?nnen, war in der Tasche verborgen. Dies war meine ganze Ausrüstung.

Gewiss ein Wagestück, unter solchen Umst?nden, mit solchen mehr als bescheidenen Mitteln in ein vollkommen fremdes Land eindringen zu wollen! Um so mehr, als ich von der arabischen Sprache nur die gew?hnlichsten Redensarten auswendig wusste und weit davon entfernt war, auch nur mangelhaft sprechen zu k?nnen. Allerdings hatte ich Eine Phrase gut auswendig gelernt, die Glaubensformel der Mohammedaner, welche, man kann es sagen, alleiniger Schlüssel zum Oeffnen dieser von so fanatischer Bev?lkerung bewohnten Gegenden ist. Diese Glaubensformel-wer h?tte sie nicht schon geh?rt oder gelesen-lautet: "Lah ilah il allah, Mohammed ressul ul Lah,"1 ausser Gott kein Gott, Mohammed ist der Gesandte Gottes.

[Fu?note 1: Ganz genau so sprechen die Marokkaner den Satz aus, obschon es nach der Schreibweise eine etwas andere Aussprache sein müsste.]

Mein Gef?hrte schien vollkommen überzeugt, ich sei zum Islam übergetreten, nur glaube ich, vermuthete er, ich sei heimlich entflohen aus irgend einem verborgenen unlauteren Grund, vielleicht dachte er auch, dass bei den Christen der Uebertritt von einer Religion, wie bei den Mohammedanern mit dem Tode bestraft würde; aber das schien ihm gewiss, dass mein P?ckchen mit W?sche gestohlen sei, vielleicht noch andere Sachen enthielte und ich mich damit aus dem Staube machen wolle. Natürlicherweise mussten ihm solche Gedanken kommen: ein Marokkaner, wenn er auf Reisen geht, beschwert sich nie mit W?sche zum Wechseln, und wenn es selbst der Sultan w?re.

Wir schlugen einen Weg ein, der in der Richtung nach Tetuan führte, weil mein Begleiter im "Djebel" (Gebirge) vorher einen Freund aufsuchen wollte, und bald genug hatten wir die n?chste Umgegend Tangers verlassen. Der Weg war nicht belebt, denn es war nicht der nach Tetuan führende Karavanenweg. Aber wie entzückend war die Umgebung, und wenn auch die Pflanzenwelt nicht neu für mich war, wenn auch das Thierreich n?rdlich vom Atlas überhaupt wenig bietet, was nicht in den übrigen L?ndern am Mittelmeerbecken zu finden ist, das schon Gesehene unter anderen Verh?ltnissen übt immer einen m?chtigen Zauber aus.

Da sieht man die Wege bordirt von der Stachelfeige oder, wie der Marokkaner sagt: "Christenfeige, karmus nssara", von der langbl?ttrigen Alo?s, Lentisken- und Myrtengebüsch, Schlingpflanzen wuchern dazwischen. Der April ist für Marokko die Zeit, welche in Deutschland etwa dem Ende Mai und dem Anfang Juni entsprechen würde. Die Pracht und Fülle der Natur hat nun keine Grenzen. Der heisse und austrocknende Südostwind hat seine t?dtenden Wirkungen auf die ganze Natur noch nicht ausgeübt. Wie alle G?rten der St?dte Marokko's zeigen sich dann auch die Tanger's durch Ueppigkeit aus. Und da in den unteren Theilen die Bew?sserung gut ist, wird Alles gezogen, was man nur in Europa an Gemüse kennt.

Aber wir waren bald im Gebirge, nicht ohne vorher einer von Tetuan kommenden Karavane begegnet zu sein, bei welcher mehrere Europ?er waren, die mich alle baten und beschworen, nicht in alleiniger Begleitung eines Mohammedaners und sogar ohne Waffen ins Innere des Gebirges zu gehen. Aber ich liess mich nicht mehr bereden, es waren die letzten Christen, die ich für lange Zeit zu sehen bekam. Man hatte mir in Tanger gesagt, ich solle nie aussagen, ich wolle nach Fes oder zum Sultan, sondern ich ginge nach Uesan zum Grossscherif Sidi el Hadj-Abd-es Ssalam. Da hernach noch ausführlicher von dieser merkwürdigen Pers?nlichkeit die Rede sein soll, beschr?nke ich mich darauf, hier anzuführen, dass er der gr?sste Heilige von Marokko ist und im ganzen Nordwesten von Afrika unter den Mohammedanern ungef?hr dieselbe Rolle spielt, wie der Papst bei den ultramontanen Katholiken.

Durch viele kleine Duar (Zeltd?rfer) und Tschar (H?userd?rfer) kommend, die alle von hübschen G?rten umgeben waren, zog ich trotz meiner halbmarokkanischen Kleidung überall die Blicke der Eingeborenen auf mich, und Si-Embark (so nannte sich mein Gef?hrte) hatte genug zu thun, die Neugier der Leute zu befriedigen. Aber kaum hatte er gesagt: "er geht zu Sidi, ist ein zum Islam übergetretener Inglese" (Engl?nder), als alle beruhigt waren. Der Name "Sidi" (so wird schlecht weg der Grossscherif von Uesan genannt, er bedeutet Meinherr) wirkte überall wie Zauber. Ich liess es ruhig geschehen, dass sie glaubten, ich sei Engl?nder, die Mühe, ihnen auseinanderzusetzen, welcher Nationalit?t ich angeh?re, würde überdies bei ihren kindlichen geographischen Kenntnissen vergebliche Arbeit gewesen sein.

Bald nach Sonnenuntergang erreichten wir ein ziemlich hoch am Berge gelegenes D?rfchen. Alle H?user und Geh?fte waren von hohen Cactushecken umgeben, ebenso die einzelnen G?rten. Vor einem Hause wurde Halt gemacht, und Si-Embark wurde vom Besitzer mit grosser Freude empfangen. "Wie ist Dein ich? Wie bist Du? Wie ist Dein Zustand? Nicht wahr, gut?" Das waren die Fragen, die Beide sich unz?hlige Male, nachdem der erste "ssalamu alikum" ausgetauscht worden war, wiederholten. Dabei küssten sie sich recht herzlich, und allm?hlich, als etwas mehr Ruhe in die rasch erfolgenden und, wie es schien, stereotypen Fragen kam, wurden diese h?ufig untermischt mit anderen Fragen, nach den Kornpreisen, ob die Pferde auf dem letzten Markte theuer gewesen seien, ob der Sultan wirklich die und die Tribe gebrandschatzt habe, und dergleichen mehr. Natürlich wurde die Neugier in Betreff meiner auch gestillt.

Das Haus, in welches wir sodann geführt wurden, bestand wie alle übrigen nur aus Einem Zimmer. Die W?nde waren auswendig und innen überkalkt, der Fussboden war aus gestampftem Lehm, der Plafond aus Rohr, welches auf St?mmen aus Aloes ruhte. Fenster waren nicht vorhanden, und die einzige Thür so niedrig, dass ein fünfj?hriges Kind allenfalls aufrecht hindurch gehen konnte. Das ?ussere Dach, à cheval darüber gelegt, war aus Stroh. Eine Matte, ein Teppich, auf einer Erderh?hung eine Art Matratze war das ganze Ameublement.

Gegenüber dem Hause befanden sich zwei Zelte, für je eine Frau, denn das Haus war von zwei Brüdern bewohnt. Man findet es in Marokko überhaupt sehr oft, dass zwei verheirathete Brüder Eine Wirthschaft haben. Der alte Vater der beiden Brüder lebte noch und bewohnte das Haus.-Der ganze folgende Tag wurde auch noch in diesem Dorfe, dessen Namen ich leider nicht erfuhr, zugebracht. Hier wurde ich in den Augen der Eingeborenen nun zum wirklichen Mohammedaner gestempelt; sie riethen mir n?mlich, oder vielmehr befahlen, mein Kopfhaar glatt abzurasiren. Sie wollten sich allerdings herbeilassen, mir eine Gotaya, d.h. einen Zopf stehen zu lassen; aber diese chinesiche [chinesische] Art, das Haar zu tragen, wollte ich nicht, und Morgens nach Sonnenaufgang bekam mein Kopf auf einmal das Ansehen, welches Mirza-Schaffy für den sch?nsten Schmuck des Mannes h?lt. Der alte Papa hatte selbst das Rasiren besorgt, freilich unter grossen Qualen meinerseits: er bediente sich dazu seines ganz gew?hnlichen Messers. Ein F?tha (d.h. Segen) wurde gesprochen, ein "Gottlob" entquoll jeder Brust, und nun war ich ihrer Meinung nach vollkommener Muselmann.

Die Beschneidung wird bei vielen Berbertriben, wie ich das sp?ter n?her er?rtern werde, nicht als zum Islam unumg?nglich nothwendig gehalten2.

[Fu?note 2: Siehe darüber auch H?st, S. 208.]

Natürlich musste ich von nun an alle Gebr?uche, die der Islam erfordert, mitmachen. Zum ersten Male ass ich mit der Hand aus einer irdenen Schüssel mit dem m?nnlichen Hauspersonal. Die Leute unterrichteten mich, wie der Bissen zu fassen und zum Munde zu führen sei, und Nachts musste ich mich bequemen, auf hartem Erdboden zu schlafen, froh für diesmal eine Matte zu haben. Die Beleuchtung Abends bestand aus einer kleinen th?nernen Lampe, ganz ?hnlich in Form und Gestalt den antiken griechischen und r?mischen. Ein Klumpen Butter wurde hineingeworfen, irgend ein baumwollener Fetzen zu einem Dochte zusammen gedreht, und fertig war die alte Grossmama der brillanten Gaslampe.

Am dritten Tage Morgens wurde die Reise fortgesetzt, ich natürlich immer zu Fusse. Vor Sonnenaufgang aufgebrochen, erreichten wir um "Dhaha" beim Ued Aisascha die grosse von Tanger nach L'xor (Alcassar) führende Karavanenstrasse. Eine Uhr besass ich damals nicht, und bald lernte ich wie die Marokkaner meine Zeit nach der Sonne, dem Schatten, den Magenbedürfnissen und anderen Kleinigkeiten erkennen. Der Marokkaner hat als Zeiteintheilung vor allem Sonnenaufgang, Sonnenh?he oder Mittag, und Sonnenuntergang. Sodann die halbe Zeit zwischen Sonnenaufgang und Mittag, endlich zwischen Mittag und Sonnenuntergang ebenfalls die halbe Zeit. Für alle diese Zeitpunkte hat man auch bestimmte Namen3. Wenn ich sagte, dass wir die grosse Karavanenstrasse erreichten, so denke man dabei ja nicht an eine gepflasterte oder makadamisirte Chaussee, dergleichen giebt es im ganzen marokkanischen Reiche nicht, wie denn auch der Gebrauch des Wagens noch ganz unbekannt ist. Eine solche Strasse besteht aus verschiedenen mehr oder weniger parallel neben einander herlaufenden Pfaden. Je betretener eine solche Strasse ist, um so mehr Pfade gehen neben einander, oft zwanzig, ja bis zu fünfzig, die sich in einander schl?ngeln, so dass das Ganze von der Vogel-Perspective aus gesehen, wie ein langgezogenes Netz erscheinen würde.

[Fu?note 3: Sonnenaufgang Seroct el schems, gegen 9 Uhr Morgens Dhaha, Mittag nus el nhar, Nachmittags 3 Uhr L'asser, Untergang der Sonne Hebut el schems. Diesen Zeiten entsprechen auch die Gebete, doch ist das Dhaha-Gebet nicht obligatorisch]

Die Gegend war immer gleich strotzend von Ueppigkeit, und die weissen Gipfel der Rifberge im Osten trugen nur dazu bei, den Reiz derselben zu erh?hen. Wir waren jetzt im Monat April. Man fing schon an hie und da die Gerste zu ernten. Die Verh?ltnisse sind in dieser Beziehung in Marokko ganz anders als bei uns. Der Acker wird gemeiniglich im December, auch wohl Anfang Januar bestellt, mittelst eines primitiven Pfluges, wohl ganz derselben Art, wie sich die Araber vor 2000 Jahren desselben bedienten. Ob die Berber den Pflug vor der arabischen Invasion gekannt haben, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen, von allen übrigen V?lkern Afrika's kennt nur der Abessinier den Pflug, und nach Abbessinien ist er auch wahrscheinlich aus Arabien herübergekommen. Südlich vom Atlas, in den Oasen der Sahara, in Centralafrika wird der Boden nur mit der Hacke bearbeitet. Das Schneiden der Frucht geschieht mittelst krummer Messer, Sicheln kann man kaum sagen, und so nahe unter der Aehre, dass fast das ganze Stroh stehen bleibt, dies soll dann zugleich für die n?chste Bestellung des Ackers als Düngungsmittel dienen. In Haufen l?sst man alsdann das Getreide einige Zeit auf dem Felde trocknen und hernach wird das Korn durch Rinder, denen das Maul verbunden ist4 und die im Kreise herumgetrieben werden, ausgetreten. Eine aus Lehm gestampfte Tenne dient in der Regel einem ganzen Dorfe. Das Getreide, was man für den n?chsten Gebrauch nicht im Hause beh?lt, wird in grosse L?cher geschüttet. Diese Gruben von birnf?rmiger Gestalt mit engem Halse als Oeffnung nach oben, sind mehr als mannstief und unten 4 bis 5 Fuss breit; man legt sie immer auf Erh?hungen und im trockenen Erdreich an, das Getreide soll sich jahrelang darin halten.

[Fu?note 4: H?st (S. 129) behauptet zwar das Gegentheil, ich habe es aber nur so ausdreschen sehen.]

Es war an dem Tage ungemein warm; obschon an Gehen gew?hnt, war mir der Marsch mit blossen Füssen in den dünnen gelben Pantoffeln ?usserst beschwerlich; nach der Sitte der Marokkaner hatte ich meine Hosen eingerichtet, d.h. bis zu den Knieen abgeschnitten und die Folge davon war, dass hier die empfindliche Haut von einem Sonnenstich bald blauroth wurde und schmerzhaft brannte. Glücklicherweise hatte Si-Embark eine kleine Rkuá5 bei sich, woraus wir unseren Durst stillen konnten. Abends erreichten wir einen Duar, d. i. ein Zeltdorf, in dem gen?chtigt wurde. Es war ein Kreis von 17 Zelten; eins, das sich durch gr?ssere Feinheit des Stoffes auszeichnete, auch ger?umiger als die übrigen war, geh?rte dem Mul el Duar (Dorfherr), der zu gleicher Zeit Aeltester der Familie und ihr Kaid war. Sein Zelt stand mit den übrigen im selben Kreise, manchmal lagern die Kaids in der Mitte oder auch abseits vom Duar. Nicht bei allen Triben herrscht überdies die Sitte, die Zelte kreisf?rmig aufzuschlagen; viele lieben es, in Einer Front die Zelte zu errichten oder auch die Behausungen den ?rtlichen Verh?ltnissen der Gegend anzupassen. Si-Embark hatte mir den ganzen Tag über gute Lehren gegeben, wie ich mich zu verhalten h?tte, und ich ersah daraus, dass es vor Allem darauf ankam, fortw?hrend Gott im Munde zu haben. Doch waren manche andere Kleinigkeiten darunter, die uns l?cherlich erscheinen werden. Als er mich das Wort "rsass", Blei, für Kugel anwenden h?rte, unterbrach er mich rasch und meinte, es sei unanst?ndig, dies Wort, womit man Menschen t?dte, zu nennen; er sagte mir darauf, wie ich zu sagen habe. Das Wort entfiel mir damals, aber sp?ter fand ich, dass man in Marokko allgemein für Bleikugel das Wort "chfif", d.h. "leicht" sagt. Gerade die dem Blei entgegenstehende Eigenschaft. Er sagte mir, ich solle nie die Frauen und jungen M?dchen ansehen und als Fremder nicht mit ihnen sprechen, kurz, er gab mir goldene Lehren, machte sich freilich auch am folgenden Tag dafür bezahlt.

[Fu?note 5: Rkuá, kleiner Schlauch, den man selbst tr?gt; Girba, Schlauch, den das Vieh zu tragen bekommt.]

Im Duar logirten wir nicht im Gitun el diaf oder Fremdenzelt, sondern Si- Embark hatte auch hier seinen speciellen Freund, bei dem er Unterkommen fand und ich mit ihm. Hatte ich am Abend vorher zum ersten Male eine einheimische feste Behausung kennen gelernt, so war jetzt das Leben und Weben einer Zeltfamilie mir erschlossen. Ich sah jetzt ein, welch ungemeinen Vortheil ich aus der Maske des Islam ziehen würde. H?tte man einen Christen oder auch einen unter Gepr?nge reisenden Mohammedaner so ohne Weiteres ins geheiligte Innere eines Familienzeltes zugelassen? Nie. Auf diese Art, unscheinbar, ohne alle Mittel, aber ganz wie die dortige Bev?lkerung selbst lebt-auf diese Art reisend, durfte ich hoffen, genau die Sitten und Gebr?uche der Eingeborenen kennen zu lernen. Vor mir war keine Scheu, keine Zurückhaltung, Jeder gab sich, wie er war, ja, ich kann sagen, auf dem Lande beeiferte man sich, mich mit Allem, was mir neu und unbekannt war, bekannt zu machen. Freilich war ich auch geplagt dafür vom Morgen bis zum Abend. Ich hatte, um mich besser der zudringlichen Fragen, warum ich gekommen, weshalb ich übergetreten, warum ich nicht heirathe und mich sesshaft mache etc. etc., erwehren zu k?nnen, ausgesagt, ich sei Arzt; aber von dem Augenblick war keine Ruhe mehr. Die mit wirklichen Krankheiten Behafteten sowohl, wie die vollkommen Gesunden, Alles wollte Mittel und Rathschl?ge vom ehemaligen christlichen Arzt haben. Freilich sch?pfte ich auch hieraus manchen Nutzen, denn ebenso gut wie in Europa der Arzt manchmal mehr erf?hrt als der Beichtvater, haben in jeder Beziehung die Marokkaner Vertrauen zu dem Arzte, wenn sie nur einmal den geringsten Beweis seiner Heilkraft erprobt haben.

Das Zelt, welches wir für die Nacht bewohnten, war dasselbe, worin die ganze Familie unseres Gastgebers zubrachte. Im Allgemeinen sind die Zelte der Marokkaner etwas kleiner als die der Algeriner, aber gr?sser als die der Bewohner von Tripolitanien und Cyrenaika. Dies gilt indess nur für die Theile in Marokko, die unter der Hand des Sultans oder seiner Blutsauger stehen, in den Gebieten, welche eine unabh?ngige Herrschaft haben, besitzen die St?mme ebenso grosse, wenn nicht noch gr?ssere Zelte als die der Triben in Algerien. Man kann mit Recht von dem grossen Hause oder grossen Zelte auf den Wohlstand Einzelner, sowie auch ganzer Triben schliessen, und wie bei uns ursprünglich die Redensart: "er ist aus einem grossen Hause", "er macht ein grosses Haus", nicht nur bildlich sondern in Wirklichkeit zu nehmen ist, so auch in Marokko; "min dar kebira", oder "cheima kebira" heisst vom grossen Hause, vom grossen Zelte und bedeutet, dass der, auf den es Bezug hat, wirklich ein grosses Haus oder grosses Zelt, mithin Reichthum und Macht besitzt.

Man kann wohl denken, dass das Zelt, welches wir bewohnten, nicht zu den grossen geh?rte; in der einen H?lfte schliefen Mann und Frau, in der anderen wir und noch zwei m?nnliche halberwachsene Kinder. Die Scheidewand war durch die im Zelte üblichen M?bel gebildet: hohe S?cke mit Korn, darauf ein Sattel, Ackerger?th, zwei Flinten, ein grosser Schlauch mit Wasser, ein anderer, worin gebuttert wird und der nur halb voll zu sein schien6, T?pfe und leere h?lzerne Schüsseln vervollst?ndigten die trennende Barrikade. Bei Vornehmen pflegt aber aus Zeug eine Scheidewand gezogen zu sein. Ein kleines Füllen, welches an unserer Seite angebunden war, bekam mehrere Male Nachts Gesellschaft, Ziegen, Schafe, wahrscheinlich Besitz des Eigenthümers, kamen aus der Mitte des Duars ins Zelt, um einen kurzen Besuch zu machen, wobei sie ungenirt über uns wegkletterten. Glücklicherweise sind die Hunde des Zeltes, in das man einmal aufgenommen ist, nicht mehr zu fürchten, es ist, als ob sie den Gastfreund ihres Herrn respectiren wollten. Aber wehe Dem, der ohne Knittel Nachts einen Duar verlassen oder in denselben einzudringen versuchen wollte, er würde von der ganzen Meute der stets halbverhungerten Bestien angefallen werden. Und dennoch kommt mitunter Diebstahl vor, man lockt durch faules oder frisches Fleisch die hungerigen Thiere fort, und mit Leichtigkeit kann dann gestohlen werden, da die Eingeborenen sich Nachts nur auf die Wachsamkeit ihrer Hunde verlassen.

[Fu?note 6: Man giesst mehrere Morgen nach einander die frisch gemolkene Milch in einen Ziegenschlauch, und sp?ter wird durch Schütteln die Butter erzeugt.]

Die Heerden, d.h. Rinder, Schafe und Ziegen werden stets für die Nacht in den inneren Kreis getrieben und Morgens und Abends gemolken. Besitzt ein Einzelner viele Schafe, so werden sie in zwei Reihen mit den K?pfen nach vorn gerichtet, durcheinander gebunden, um so gemolken zu werden. Sobald ein Schaf gemolken ist, wird es freigelassen. Unter der Zeit führen die Widder der verschiedenen Heerden furchtbare K?mpfe auf und meistens lassen die Besitzer sie gew?hren. Ein jeder der K?mpfer geht ungef?hr zehn Schritt zurück, und sodann stürzen beide mit gesenktem Kopfe auf einander, dass die K?pfe zu zerspringen drohen. Sie bohren nach jedem Stosse mit dem Kopfe nach vorw?rts, sie fallen auf die Knie, endlich r?umt der eine das Feld, w?hrend der andere laut schnuppernd zu seiner Heerde eilt. Das marokkanische Schaf ist nicht das fettschw?nzige. Die H?rner des Schafes sind spiralf?rmig gebogen, der Kopf ist vorn gew?lbt, die Wolle lang und fein, durch Veredlung dieses Schafes ist das spanische Merino entstanden. Für Veredlung der Race der Schafe wird natürlich in Marokko gar nichts gethan, im Gegentheil wundert man sich, dass sie bei so ungünstiger Behandlungsweise noch so ausgezeichnet gedeihen. Hems? sch?tzt die Zahl der Schafe auf vierzig bis fünfundvierzig Millionen. Wo Schafe sind, ist gleichzeitig auch Ziegenzucht und verh?ltnissm?ssig gedeihen diese besser, weil sie weniger Wartung bedürfen. Vorzugsweise in den gebirgigen Theilen Marokko's zieht man dieselben, und von den Einwohnern werden sie wegen ihrer Felle gesch?tzt. Die Schl?uche zum Wasserbedarf, Eimer, sind nur dann gut, wenn sie aus Ziegen- oder Bockfellen bereitet sind. Aber auch das gegerbte Leder, Safian, Maroquin, oder das, was heute am bew?hrtesten ist, Fessian und das von Tafilet wird aus Ziegenleder bereitet; als Fleisch zieht der Marokkaner jedoch Schaffleisch dem Ziegenfleisch vor.

Am Morgen ehe wir den Duar verliessen, gab man uns statt der üblichen Morgensuppe, ein Gericht grosser Bohnen, welche in Wasser gekocht und mit Butter gegessen wurden. Wir hatten die Absicht, Abends noch die Stadt L'xor zu erreichen. Wie am Tage vorher war die Hitze ausserordentlich, und ich fing bald an, mich meiner überflüssigen Kleidungsstücke zu entledigen, auch mein spanisches Mützchen wurde dem Bündel beigefügt und dafür aus meinem Tuch zum besseren Schutz gegen die Sonne ein Turban gedreht. Si-Embark war freundlich genug, das Packet, mein ganzes Hab und Gut auf sein Maulthier zu nehmen, welches in zwei an beiden Seiten angebundenen K?rben, "Schuari" genannt, verschiedene Waaren seines Herrn trug. So wurde Tleta-Risane erreicht, Oertlichkeit, wo Dienstags ein Markt abgehalten wird; ungef?hr halbwegs zwischen Tanger und L'xor gelegen, zeichnet sich dieser Platz sonst durch nichts aus. Manchmal soll auch in der N?he ein Duar zu finden sein, zu der Zeit sahen wir nur eine leere St?tte, die aber auf den ersten Blick andeutete, dass zu Zeiten dort grosses Leben und Treiben sein müsste. Hier standen leere Hütten aus Zweigen, dort waren Metzgerpl?tze, und viele Aasgeier und Raben durchwühlten noch den blutdurchtr?nkten Boden, hier sah man Asche der Schmiedewerkst?tte, dort todte Kohlenreste einer Garküche, aber nirgends war ein Mensch zu sehen.

Da Wasser in der N?he war und die Sonne ihren h?chsten Stand erreicht hatte, würde gelagert, und nachdem wir etwas trockenes Brod gegessen hatten, sagte Si-Embark, er wolle einen Freund aus einem in der N?he lagernden Duar abholen, ich solle ihn erwarten, gemeinschaftlich wollten wir dann nach L'xor gehen. Ich wagte nicht, um nicht misstrauisch zu scheinen, ihn um mein Bündelchen zu bitten, er entfernte sich und nie habe ich ihn wiedergesehen.

Ich wartete und wartete, Si-Embark kam nicht wieder; die dem Untergange zueilende Sonne mahnte aber zum Aufbruch. Indess ein ?ngstliches Gefühl beschlich mich, so allein auf jetzt v?llig einsamer Strasse weiter zu ziehen, s?mmtlicher Sachen beraubt. Ich hatte vor, nach Tanger zurückzukehren, aber ich sch?mte mich, nach einer dreit?gigen Reise dort und noch dazu unter solchen Verh?ltnissen wieder zu erscheinen. Ich nahm noch einen tüchtigen Trunk Wasser und vorw?rts zog ich nach Süden. Da Si- Embark mir gesagt hatte, im Funduk el Sultan in L'xor absteigen zu wollen, hoffte ich noch, ihn dort zu finden; aber auch diese Hoffnung erwies sich als falsch.

Es war Abend, als ich L'xor erreichte, mein eigenthümlicher Aufzug, halb europ?isch halb marokkanisch gekleidet, erregte natürlich das gr?sste Aufsehen. Hunderte von Menschen umdr?ngten mich bald, Kinder l?rmten, schimpften und schrien, auch marokkanische Juden kamen hinzu, und das war ein Glück für mich. Der P?belhaufe wollte n?mlich nicht glauben, ich sei Moslim, und wenn ich auch nicht Alles verstand, was sie mir B?ses sagten, merkte ich doch so viel, dass sie keineswegs vom Eindringen eines Christen in ihre Stadt erbaut gewesen w?ren; als aber die Juden, welche spanisch verstanden, oder wie die Marokkaner sagen, "el adjmia" reden (adjmia wendet der Marokkaner auf jede fremde Sprache an), erkl?rten, ich sei allerdings Christ gewesen, habe aber die Religion der Gl?ubigen angenommen, werwandelte [verwandelte] sich das Schimpfen in ein "Gottlob", und als die Juden nun noch hinzufügten, ich beabsichtige nach dem "dar demana"7 zu pilgern, um sp?ter in die Dienste des Sultans zu treten, war Jedermann zufrieden.

[Fu?note 7: Dar demana, Haus der Zuflucht, wird Uesan von den frommen Gl?ubigen genannt.]

Mittlerweile waren auch ein paar Maghaseni (Reiter der Regierung, die zum Theil in den St?dten Polizeidienst versehen) hinzugekommen; ohne Weiteres ergriff der eine meine Hand und bedeutete, mit ihm zu kommen. Ich wollte nicht, der Maghaseni rief immerw?hrend: "tkellem el Kaid" (der Kaid l?sst Dich rufen), und schien gar nicht zu fassen, dass man einer solchen Aufforderung überhaupt Widerstand entgegensetzen k?nne. Die Juden redeten zu, mitzugehen, sie selbst würden für mich dolmetschen, ich solle nur keine Furcht haben, der Kaid sei ein guter Mann.-Angekommen im Dar el Maghasen, wie jedes Regierungsgeb?ude in Marokko genannt wird, einerlei, ob man das Palais des Sultans oder die Wohnung eines gew?hnlichen Kaid damit meint, wurde ich sogleich vorgelassen. Den ganzen Weg über hatte mich immer der eine Maghaseni bei der Hand gehalten, w?hrend der andere hinten drein ging; erst als wir vor dem Kaid waren, wurde ich losgelassen. Auch sp?ter habe ich diese Sitte in Marokko beobachtet, dass, wenn Jemand gerufen wurde, er immer an der Hand vom Rufenden herbeigebracht wurde.

Der Kaid Kassem empfing mich sehr freundlich, eine Tasse Thee erquickte mich ungemein, ich musste mich setzen und sodann begann er zu fragen, woher ich komme, nach Vaterland, wes Standes, wohin ich wolle, ob ich verheirathet, etc. etc. Der mich begleitende Jude explicirte Alles. Darauf hielt der Kaid, ich muss ihm diese Gerechtigkeit widerfahren lassen, eine eindringliche Rede, nicht ins Innere zu gehen; als ehemaliger Christ w?re ich Alles besser gewohnt, denn Alles sei schlecht in Marokko; er erbot sich sogar, mir ein Pferd zur Rückreise nach Tanger zu stellen und mich durch einen Maghaseni begleiten zu lassen.

Als er sah, dass ich darauf bestand, nach Fes gehen zu wollen, glaubte ich zu verstehen, wie er zu dem Juden sagte: "er hat gewiss gemordet oder sonst etwas verbrochen, und darf zu den Christen nicht zurückkehren." Nach Beendigung des Verh?rs war ich unvertraut genug mit den Sitten des Landes, nach dem "Funduk el Sultan" zu verlangen; denn der Kaid hatte es natürlich als selbstverst?ndlich betrachtet, dass ich bei ihm wohne. Aber auch so noch erstreckte sich seine Freundlichkeit weiter, er befahl einem Maghaseni und dem Juden, mich nach dem genannten Funduk zu begleiten: ich solle dort auf seine Kosten wohnen, Nahrungsmittel wolle er schicken. Natürlich wird er dem Miethsmann des Funduks als Entsch?digung nichts gegeben haben, was er überdies auch kaum n?thig hatte, da der Name "Funduk el Sultan", d.h. "Gasthof zum Kaiser" nicht etwa in unserem Sinne zu verstehen ist, sondern so viel bedeutet, als Eigenthum des Sultans oder der Regierung. In der Regel geh?ren die Funduks in Marokko entweder der Regierung oder irgend einer Djemma (Moschee) an und werden verpachtet.

Die Stadt L'xor (so gesprochen ist es der marokkanischen Aussprache am n?chsten, geschrieben wird aber Alkassar) liegt ungef?hr 10 Minuten vom rechten Ufer des Ued-Kus entfernt, nach Ali Bey auf 35° 1' 10" N. B. und 8° 9' 45" W. L. v. P. in einer freundlichen Alluvialebene. Die Stadt soll nach Leo von Almansor8 gegründet sein; da aber Edris derselben unter dem Namen Kasr-Abd-el-Kerim erw?hnt, so hat wohl Sultan Almansor, wie Renou richtig bemerkt, nur zur Vergr?sserung der Stadt beigetragen. Die Bev?lkerung ist sehr schwankend, Hems? nimmt nur 5000 Einwohner an, Washington 8000, bei meiner zweiten Reise in Marokko taxirte ich die Stadt auf 30,000 Seelen, mich stützend auf die Anzahl der bewohnten H?user, die mir zu 2600 angegeben wurden. Früher muss die Stadt noch bedeutender gewesen sein, wie man aus den vielen Ruinen und leeren Djemmen schliessen kann. Eigenthümlich für Marokko ist, dass die meisten H?user nicht flach sind, sondern spitze, mit Ziegeln gedeckte D?cher haben. Wie wenig Ab?nderungen in den Gebr?uchen beim Volke in Marokko vor sich gehen, ersieht man daraus, dass der von Leo als am Montage ausserhalb der Stadt abgehaltene Markt auch noch jetzt am Montage abgehalten wird. Sehr auffallend für alle Besucher der Stadt ist die ungeheure Anzahl von Storchnestern mit ihren Besitzern, wenn die Jahreszeit sie herbeizieht, nicht nur die H?user sind voll davon, sogar auf den B?umen erblickt man sie. Aeusserst günstig als Zwischenstapelplatz der H?fen L'Araisch, Arseila und Tanger einerseits, der Binnenst?dte Fes und Uesan andererseits, hat bei besserer Entwickelung des Handels L'xor eine Zukunft vor sich.

[Fu?note 8: Maltzan meint, dass hier die Stadt Bauasa der Alten gelegen sei, welche Stadt freilich, als am Sebu gelegen angegeben wird, sonst stimmen die Entfernungen.]

Ausserdem ist die Gegend eine der reichsten von Marokko, was man an Gemüsen nur bauen will, gedeiht um L'xor. Freilich liegt der Gemüsebau in Marokko noch arg danieder. Obschon der Marokkaner Gelegenheit hat, in den von Christen cultivirten G?rten der Hafenst?dte alle Gemüse kennen zu lernen, kann doch von einer eigentlichen Gartencultur der Marokkaner selbst kaum die Rede sein. Wie gut würde aber Alles hier gedeihen; versorgt doch das nahe Algerien unter nicht ganz so günstigen klimatischen Verh?ltnissen, wegen geringerer Feuchtigkeit des Bodens und der Luft, im Winter fast ganz Europa mit frischen Gemüsen der feinsten Art. Die uns unentbehrliche Kartoffel hat den Weg in das Innere des Landes noch nicht finden k?nnen. Mit Ausnahme der G?rten des Sultans in Fes, Mikenes, Maraksch etc. kennt man nirgends Spargel, Artischocken, Blumenkohl und andere feine Gemüse. Und selbst dort werden sie keineswegs des Nutzens halber gezogen; irgend ein Consul brachte sie vielleicht zum Geschenk, man zieht sie nun als Blumen und wundert sich, dass die Christen solches Zeug essen.

Das Gemüse, was in Marokko gebaut wird, ist bald aufgez?hlt. Rothe und gelbe Rüben, Steckrüben, grosse Bohnen, Rankbohnen, Erbsen, Linsen, Zwiebeln, Knoblauch, Kohl findet man fast überall, Sellerie und Petersilie ebenfalls. Was aber gerade bei L'xor besonders gut gedeiht, sind die Melonen, sowohl die gew?hnlichen wie die Wassermelonen. Man sagt, dass die um L'xor wachsenden Trauben schlecht seien wegen des zu feuchten Bodens.

Gegenstand der gr?ssten Neugier, blieb ich durch starken Regen gezwungen vier Tage in der Stadt und lernte immer mehr mich an die eigenthümlichen Sitten gew?hnen, "Christ, laufe doch nicht immer auf und ab," rief mir ein alter Kaffeetrinker eines Abends zu, als er sah, wie ich im Hofe in Gedanken auf und ab ging. Ich setzte mich und fragte, ob das denn ein Verbrechen sei. "Das nicht," antwortete mir ein Anderer, "aber ohne Zweck auf- und abgehen thun nur die Thiere und ist hier nicht anst?ndig9." "Gott verfluche Deinen Vater," sagte ein Anderer zu mir, "wenn er Dir auch gute Lehren giebt, hat er doch kein Recht, Dich Christ zu nennen; Gott sei Dank, Du glaubst jetzt an einen einigen Gott und an dessen Liebling, Gott vertilge alle Christen und lasse sie ewig brennen!"-"Aber, o Wunder!" fing ein Dritter an, "seht den ungl?ubigen Hund, wie er die H?nde gefaltet hat (ich hatte mich auf türkisch niedergesetzt und in Gedanken die H?nde gefaltet), gewiss betet er seine sündhaften Gebete!" Ich entfaltete rasch meine H?nde, und ein Anderer ermahnte mich nun, nie wieder in der Gesellschaft von Gl?ubigen solche gottvergessenen Handlungen vorzunehmen.

[Fu?note 9: Ich übersetze das Wort "drif", dessen er sich bediente so, eigentlich bedeutet es zart, elegant, fein gebildet.]

So unangenehm es auch war, auf diese Art auf Tritt und Schritt wie ein kleines Kind geschulmeistert zu werden, so lernte ich doch dadurch rasch die Sitten in ihren kleinsten Einzelheiten kennen. Am peinlichsten war mir immer die Essstunde; abgesehen davon, dass am Boden hockend aus einer Schüssel gegessen wird, und Jeder mit halb oder gar nicht gewaschener Hand ins Essen f?hrt, haben alle Marokkaner die sehr unangenehme Angewohnheit, zwischen und gleich nach dem Essen laut aufzustossen. "Veizeih's [Verzeih's] Gott," ist das Einzige, was so ein alter Schlemmer mit seiner unsauberen Erleichterung zugleich ausruft, und ein "Gott sei gelobt" der Anwesenden giebt die Billigung derselben zu erkennen.

Als endlich das Wetter sich aufheiterte, setzte ich in Begleitung eines Bauern aus der Umgegend von Tetuan meine Reise nach Uesan fort. Durch die strotzenden G?rten hatten wir bald den Ued Kus erreicht, setzten über und gingen auf die Berge los; obschon man den Weg recht gut in Einem Tage machen kann, n?chtigten wir doch abermals, da der anhaltende Regen die Wege in dem Lehmboden fast grundlos gemacht hatte. Die Gegend wurde uns als gef?hrlich geschildert, doch schützte uns der Umstand, dass wir Uesan als Reiseziel hatten. Der Ruf des dortigen Grossscherif ist in der That so gross, dass Alle, die zu ihm pilgern, unter einem allgemein anerkannten Schutz stehen.

Die reizende Gegend, durch die wir zogen, jeder Hügel, jeder Berggipfel, wie in der Romagna mit einem Dorf oder St?dtchen, machte einen grossen Eindruck auf mich. Mit grosser Freigebigkeit wurden wir Mittags in einem Orte, Kaschuka genannt, bewirthet, angestaunt von der ganzen Bev?lkerung, welche wohl noch nie einen Deutschen gesehen hatte. In einem dem Grossscherif geh?renden Dorfe aus Zelten wurde übernachtet, und am anderen Morgen gegen 9 Uhr erreichten wir die heilige Pilgerstadt, das Mekka der Marokkaner.

Doch bevor ich den Leser mit Uesan bekannt mache, werfen wir auf Bodengestalt, Klima und Bev?lkerung des ganzen Reiches einen Blick.

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